Der bäuerliche Alltag vor 100 Jahren

Der bäuerliche Alltag vor 100 Jahren (bezogen auf 1973)


von Karl-Friedrich Jäckle – vor 100 Jahren bezogen auf 1973

Bis in die 1870er Jahre hinein vollzog sich das Leben und Zusammenleben im Ort in althergebrachter Weise. Der Küchenzettel in Bauern- und besseren Handwerkerhäusern wies als Hauptgericht Knöpfle und Sauerkraut mit Speck auf für Mittag. Das Morgenessen war Haferbrei, das Abendessen Brotsuppe (Wassersuppe genannt) mit gesottenen Kartoffeln und Milch. Kaffee galt als Luxus und war als solcher verpönt. Doch machten die findigen Frauen manchmal hinter dem Rücken der Männer einen. Wenn dann der Mann die Sache erfuhr, kam es vor, daß er die Kaffeehäfen zerschlug, nur mit dem Erfolg, daß die Frau sich wieder neue beschaffte. Schließlich siegte der Kaffee und verdrängte den Haferbrei, Obstmost wurde noch wenig hergestellt. Zum Vesper gab’s in der kälteren Jahreszeit ein Gläschen Schnaps, im Sommer auch gestandene Milch mit eingebrocktem Schwarzbrot. Als Hauptmittagsmahlzeit galt auch Erbsen mit Speck, Grier (Grütze), Küchle. Gedörrte Apfelschnitze mit Zwetschgen wurden häufig gekocht, zum Leidwesen der meisten Männer. Hauptnahrung der armen Leute war Suppe mit Kartoffeln.

Geld war im Ort immer rar. Verdienst war wenig vorhanden. Die Landwirtschaft litt öfter unter der Ungunst der Witterung. Die erzeugte Brotfrucht reichte manchmal nicht für den eigenen Bedarf aus. Die Viehzucht brachte auch nicht viel ein. Unter dem Druck, dem die Bauern ausgesetzt waren, litten auch die Handwerker, die auch Kleinlandwirtschaft hatten. Für die Ärmsten ist in den 1860er Jahren Strohflechterei für eine Hutfabrik in Schramberg eingeführt worden, die bis etwa 1890 existierte. Die Ehefrau des Postboten Johannes Pfeifle war Flechtmeisterin, die von Aichhalden stammend, von der Fabrik ausgebildet und hierher gesetzt wurde. Sie hatte die Flechter (Frauen und Kinder) einzulernen, das Stroh auszugeben, das Geflecht einzuziehen und in Schramberg abzuliefern und die Arbeitslöhne, die nach Geflechtlänge und -art bemessen waren, auszuzahlen.

Landwirtschaft und Handwerk wurden in althergebrachter Weise betrieben. Beiden fehlten die Maschinen. Schließlich schafften die größeren Bauern Futterschneid- und Dreschmaschinen an. Kleinere Leute folgten mit Handmaschinen. Aber erst mit der Einführung elektrischer Kraft wurde der Maschinenbetrieb allgemein. Zu den beschwerlichsten Arbeiten zählte das Häckselschneiden am Strohstuhl, auch Hopser genannt, wegen der hupfenden Bewegungen, die der Arbeiter zu machen hatte, und das Dreschen mit dem Flegel. Ersteres war neben der Anstrengung auch langweilig, letzteres dagegen unterhaltend. Mancher Witz half die Zeit verkürzen. Das Dreschen begann nach beendigter Feldarbeit, nach Eintritt des Winters, Es dauerte bei größeren Bauern bis Lichtmeß (2. Februar). Bei diesen wurde zu sechst und acht gedroschen, bei kleineren Leuten zu dritt und viert. Das zu acht Dreschen war das am wenigsten anstrengende, weil die Arbeit rasch vorwärts ging, ein Drusch rasch herumgeschlagen war. Morgens wurde die Arbeit mit der Bet- glocke begonnen. Der Haferbrei war gegessen. Zur kurzen Tageszeit gab’s kein Vormittagsvesper. Dafür kam um 11 Uhr das Mittagessen auf den Tisch. Nachmittags 4 Uhr kam ein Vesper, bestehend in Schnaps und Brot, auch Übergelassenem vom Mittagessen. Gekocht wurde reichlich, weil Drescher gute Esser waren. Abends mit der Betglocke war Feierabend. Es wurde dann noch die Arbeit für den nächsten Tag vorbereitet und dann zu Abend gegessen. Die Dienstboten und die es anging hatten den Stall noch zu besorgen, auch Häcksel zu schneiden.

Nach dem Einbringen des Heues wurde die Heukatze, nach der Ernte die Sichelhenke, nach dem Ausdreschen die Flegelhenke gefeiert. Dabei ging es manchmal hoch her. Bauern und Bäuerin wollten sich nicht schäbig zeigen und manchmal wurde dem Guten etwas zu viel getan.

Nach dem Dreschen begann das Spinnen. Von früh bis spät saßen die Weibsleute am Spinnrad. Dann und wann wurde ein „Lichtgang“ abgehalten, zu dem auch die ledigen Burschen kamen. Hier handelte sich’s mehr um das Vergnügen als um die Arbeit. Gute Spinnerinnen spannen täglich einen Schneller-Faden 1000 Ellen lang, 1 Elle zu 60 cm, also 600 m. Schnellerweise wurde das Garn aufgehaspelt. Der Haspel war mit einem Zählwerk versehen, das die Zahl der gehaspelten Ellen angab. Die Schneller wurden dann gebündelt. Wenn soviel gesponnen war, daß es einen „Zettel“ in gewünschter Größe gab, dann wurde das Garn auf hölzerne Rollen gebracht und diese zum Weber, der das Garn „zettelte“ und nachher verwob. Nach dem Weben wurde das fertige Tuch teils im Freien gebleicht, teils in der Färberei gefärbt. Färbereien gab es in Alpirsbach und Sulz. Die auf der „Tuchlege“ gebleichte Leinwand wurde geballt und die Ballen für den Gebrauch aufbewahrt. Die Tuchballen bildeten den Stolz der Hausfrau. Sie kamen meist für die Aussteuern der Töchter zur Verwendung.

Trotz der einfachen Lebenshaltung war das gesellschaftliche Zusammenleben kein trübseliges. Vereinsmeierei gab es noch nicht. Die Zusammenkünfte waren zwanglos, ohne Programm und Tagesordnungen. Gegen die Jahrhundertwende war der Umschwung vollzogen. Die alten Trachten waren meist abgegangen. Die Stadtmode wurde herrschend. An Stelle der Kleider aus haltbaren Stoffen sind solche aus leichten Stoffen getreten. Sie sind oft zu erneuern, auch weil die Mode sich fortwährend ändert: zeitgemäße Arbeitsbeschaffung!

Mit dem Verschwinden der alten Tracht änderten sich auch die Hochzeitsbräuche. Diese wurden viel freier, Jeder feiert schließlich so, wie es ihm paßt. Es ist dies wohl auch z.T. eine Nebenwirkung des Personenstandsgesetzes, das in Württemberg, wie in Süddeutschland überhaupt, auf 1. Januar 1876 eingeführt wurde, Im Mittelpunkt des Brauchtums stand die kirchliche Trauung. Als der Zwang hierzu aufhörte und an ihre Stelle die freie kirchliche Einsegnung nach der standesamtlichen Ziviltrauung gesetzt wurde, wurden auch die Gebräuche freier, Vereinzelt blieb aber jene Jungfer, die nach Einführung der Zivilehe ihrem gequälten Herzen poetisch folgendermaßen Luft machte: „Früh’r isch mer nau uf’s Rothaus ganga, wenn oan d’r Bettelvogt hot g’fanga, wenn oan die Schulda hent omzoga ond mer se het gearn ausigloga. Jetzt fangt mer mit’m Rothaus a, gut Nacht, do will i gar koan Ma.“

Karl-Friedrich Jäckle